Glauben

Was hat das Reich Gottes mit Israel zu tun? Die Auseinandersetzung mit dem Thema „Israel“ hat nicht nur eine politische, kirchliche, sondern auch eine heilsgeschichtliche Dimension. Das Verständnis der Kirche hat mit der Auseinandersetzung des Volkes Gottes zu tun. Ohne die jüdische Wurzel und ohne das Bewusstsein der heilsgeschichtlichen Entwicklung, fehlt der Kirche die Fähigkeit, Geschichte zu deuten.

Die Bibel ist eine Geschichte von Exil und Rückkehr. Für uns als Kirche ist es die Geschichte von Jesus Christus. Mit ihm ist unsere persönliche Heilsgeschichte in die grosse Erzählung des Reiches Gottes, das mit dem Volk Gottes verknüpft ist, eingebettet. Dieses Bild nimmt Paulus im Römerbrief (Kapitel 9-11) auf. Auf dieser Basis über die Kirche nachzudenken, inspiriert und löst eine fruchtbare und inhaltliche Diskussion aus.

Dafür setzt sich der Verein Gemeindehilfe Israel mit seinen unterschiedlichen Schriften, Seminaren und Begegnungstagen ein.

Ersatztheologie

Die Geschichte Israels ist der Herzschlag der Geschichte der Welt. Was Gott für Israel tut, tut er für die Welt. Auf den Schultern von Israel ruht die Bestimmung der Welt. Das ist der Zugang zum Neuen Testament. Durch die jüdische Geschichtslosigkeit in der biblischen Auslegung des Christentums geht es lediglich um die Erlösung von der Welt, aber nicht für Welt. Israel ist der Träger der rettenden Absichten von Gott.

„Das Volk Israel erlebt die Geschichtsmächtigkeit dieses Gottes, der zu ihnen sprach und spricht. Und so bezeugen sie es: Gott spricht auf dieser Erde durch geschichtliche Ereignisse zu uns, in Wort und Tat; das hebr. Wort dabar bedeutet beides: Wort und Tat. (…) Israel lernt wie kein zweites Volk, geschichtliche Ereignisse zu deuten, nämlich sie von Gott her zu verstehen in dem, was sie von ihm her tatsächlich sind und sollen“ (Karl-Heinz Michel, Die Wehen der Endzeit. Von der Aktualität der biblischen Apokalyptik, 2004).

Wer dies nicht akzeptiert, möchte eine enthistorisierte, eine entjudaisierte Welt, eine spirituelle Welt im Gegensatz zur physischen Welt. Jesus stirbt für die Nationen und nicht nur für das, sondern um damit seine weltweite Gemeinde zu sammeln (Joh 11,51-52).

Folgen der Ersatztheologie sind:

  1. Allegorisierungen: Fehlt die Geschichtsdimension, kann die Theologie die Geschichte als Erzählung mit geistlichen Prinzipien verstehen. Die Geschichte ist dann eine Allegorie, etwas das wahr aber nicht wirklich sein muss. Diese Theologie sieht ganz anders aus als jene, welche die Geschichtlichkeit der biblischen Berichte akzeptiert.
  2. Kirche ersetzt das Volk Gottes: Liest man zu dieser Frage etwa einen Artikel zum Stichwort «Kirche», der in dem grossen theologischen Lexikon «Religion in Geschichte und Gegenwart» 1959 erschienen ist, so heisst es dort: «Im Urchristentum hat sich die Kirche als das neue Gottesvolk verstanden, das in Jesus Christus zum ewigen Heil erwählt und darum durch ihn aller Verheissungen, die dem Gottesvolk des alten Bundes gegeben waren, teilhaftig geworden ist.»
  3. Ein anderer Gott: Weiter gibt es die irrtümliche Ansicht, dass der Gott des Alten Testaments ein anderer sei, als der Gott des Neuen Testaments. Man sieht Gott als ein richtendes Wesen, als einer, der eine gesetzliche Religion einführte, die im Neuen Testament von einem Gott der Liebe und der Gnade verworfen wurde. Der moralische Massstab des Neuen Testaments wird als dem Alten Testament überlegen gesehen.
  4. AT interpretiert durch das NT: Ein weiteres Problem zeigt sich im Glauben vieler Christen, dass das Alte Testament durch die Augen des Neuen Testaments verstanden werden müsse. Der Kirchenvater Augustinus glaubte, das Neue Testament sei im Alten Testament verborgen und das Alte Testament offenbare seine wahre Bedeutung im Neuen Testament. Damit behauptet man, dass man das Alte Testament nur durch das Neue Testament verstehen könne. Was wir als die „Brille des Neuen Testaments“ betrachten, kann leicht die Brille des „Zeitgeistes“ sein.
  5. Erfüllungs-Theologie: Fünftens wird Matthäus 5,17 als „Erfüllung“ – als letzter Höhepunkt und zeitliches Ende – des Alten Testaments ausgelegt: „Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz oder die Propheten ausser Kraft zu setzen. Ich bin nicht gekommen, um ausser Kraft zu setzen, sondern um zu erfüllen.“ Wenn diese Aussage unter der Annahme gelesen wird, dass Jesus als Jude gelebt und gewirkt hat, scheinen diese Verse darauf hinzuweisen, dass Jesus kam, um zu zeigen, was es bedeutet, nach den Normen des Alten Testaments zu leben. Christliche Theologen haben Matthäus 5,17 hingegen so ausgelegt, als ob alle alttestamentlichen Prophetien für Israel in Christus erfüllt seien. Diese Art der „Erfüllungs“-Theologie ist lediglich eine neue Variante der Ersatztheologie. Erfüllungstheologie verkündet das Ende einer Ära – Israels Ära.

Eine neue Einheit (Röm 11)

Mit dem Bild eines Ölbaumes, dem wilde Zweige eingepfropft werden, beschreibt Paulus das Verhältnis zwischen Juden und Christen. Paulus denkt nicht an einen neuen Ölbaum. Der alte Ölbaum wird nur durch neue, wilde Zweige ergänzt. Das Bild des Baumes erinnert natürlich an einen Stammbaum, an einen heilsgeschichtlichen Stammbaum. Heilsgeschichtlich, weil damit die Geschichte erzählt wird, wie Gott seinen Frieden und sein Heil auf dieser Erde durch Menschen aufrichten will. Die Identität des Christentums basiert auf dem Judentum. Der Stamm des Baumes ist das gläubige Israel. Mit Abraham, einem gläubigen Mann im Alten Testament, begann Gott sein Volk zu bilden. Dieses Volk blieb über alle Jahre, bis zur Zeit Jesu und darüber hinweg bestehen. Die Heidenchristen gründeten keine neue Religion, sondern wurden in jenen jüdischen Glaubenskontext hineingestellt. Die Wurzel dieses Baumes ist Jesus Christus, denn Christus war vor Grundlegung der Welt da. Jesus Christus ist das lebendige Wort Gottes, das alles durchdringt und den Glauben stärkt. Gott hat seine Geschichte und seine Verheissungen an sein Volk Israel nicht weggenommen und alles der Bewegung von Heidenchristen übertragen. Paulus beschreibt hier das gläubige Volk Gottes und die Heidenchristen als Einheit. Paulus sieht einen Ölbaum und dieser besteht aus Juden und Nichtjuden, die Jesus Christus nachfolgen.

Das Ziel der Geschichte mit dem Volk Israel

Mit der Geschichte Israels wird an einem Teil der Menschheit aufgezeigt, was zum Verderben und was zum Segen werden kann. Was an diesem Teil gezeigt wird, gilt für das Ganze. Diese Geschichte bekundet auf vielfache Weise, dass der Gott Israels Mittel und Wege hat, die zum Leben in Frieden und Freude führen. Die Geschichte, die er angefangen hat, hat auch ein Ziel. Schalom ist verheissen. Schalom erfahren wir in der Gemeinschaft mit Gott, wie es bei der Schöpfung vorgesehen war.